Mit 13 jungen Menschen zwischen 13 und 24 Jahren, die als Teilnehmer*innen und ehrenamtliche Mitarbeiter*innen von der evangelischen Jugendarbeit im Kirchenkreis An Nahe und Glan partizipieren, wurden dreißig- bis neunzigminütige Interviews geführt. Dabei ging es nicht um die quantitative Anzahl der Gespräche, sondern darum, einige junge Menschen ausführlich zu Wort kommen zu lassen und ihre Erlebnisse in der aktuellen Pandemiezeit exemplarisch aufzuarbeiten. Jedes weitere Gespräch hätte mit Sicherheit weitere erzählenswerte Geschichten zu Tage gefördert.
Alle Interviewten haben schwierige und herausfordernde Situationen erlebt in den letzten Monaten, manche sind dabei an ihre Grenzen gestoßen. Trotzdem betonen alle, dass sie die Notwendigkeit von Einschränkungen und Maßnahmen, um die Pandemie in den Griff zu bekommen, begreifen und bereit sind, diese Maßnahmen mitzutragen, auch wenn die meisten selbst keine große Angst davor haben, sich mit Corona zu infizieren. Viele haben erzählt, dass sie glauben, sich durch die Pandemie verändert zu haben und dass die aktuelle Situation ihre Zukunftspläne beeinflusst. Und die Allermeisten wünschen sich mehr Mitspracherecht, wenn es um die Entscheidung dieser Maßnahmen geht, aber ihnen ist gleichzeitig bewusst, dass ihnen das notwendige Expertenwissen fehlt.
In kurzen Erfahrungsberichten wurde nach Durchführung der Interviews versucht, die Gedanken, Gefühle und Erlebnisse der Interviewpartner*innen in Worte zu fassen und thematisch zu bündeln. Dabei wird oft, aber nicht immer auf direkte Zitate aus den Gesprächen zurückgegriffen.

Diese Broschüre will dabei das, was die jungen Menschen erzählt haben, weder bewerten noch kategorisieren. Sie möchte vielmehr widerspiegeln, was sie gerade erleben und erfahren. Sie möchte ihnen ein Sprachrohr geben und zeigen, wie umfassend sich die Pandemie in nahezu jeden ihrer Lebensbereiche geschlichen hat. Und sie möchte dazu einladen, sich mit den Perspektiven junger Menschen auseinanderzusetzen, die gerade erleben, dass alles, was in ihrem Leben als fester Bestandteil galt, aus den Fugen gerät.

Wir haben in unseren Gesprächen erfahren, was mittlerweile auch durch Studien belegt ist: Neben Senior*innen sind vor allem junge Menschen besonders betroffen von den Auswirkungen der Maßnahmen, die zur Eindämmung der Pandemie ergriffen wurden. Gleichzeitig haben diese jungen Menschen aber kaum Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen auf die Gestaltung der notwendigen Maßnahmen und Strategien. Sie sollen sich zwar solidarisch zeigen, die Maßnahmen mittragen und, beispielsweise als Schüler*innen, funktionieren. Und das tun auch die Allermeisten. Sie halten die Hygienemaßnahmen und Kontaktbeschränkungen ein, sie reduzieren drastisch ihre Kontakte. Alles in dem Wissen, dass sie das in erster Linie für Andere tun, weil sie selbst nur mit geringer Wahrscheinlichkeit einen schweren Krankheitsverlauf zu erwarten hätten, sollten sie sich mit COVID-19 infizieren. Gleichzeitig werden aber ihre eigenen Anliegen nicht gehört, ihre Bedürfnisse in politischen Entscheidungen kaum berücksichtigt. Zudem wird ihnen so gut wie jede Möglichkeit genommen, Angebote der außerschulischen Freizeitgestaltung (z.B. in Sportvereinen oder Jugendzentren) wahrzunehmen. Auch das Treffen mit Freunden ist nur noch eingeschränkt möglich. Das stellen die beiden durchgeführten JuCo-Studien des Forschungsverbunds „Kindheit – Jugend – Familie in der Corona-Zeit“ fest, eine Kooperation zwischen der Stiftung Universität Hildesheim und dem Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung an der Universität Frankfurt. Mehrere tausend Jugendliche wurden in beiden Studien befragt.[1] [2]
Wenig verwunderlich erscheint es daher, dass auch die COPSY-Studie (COrona und PSYche) vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zu dem Ergebnis kommt, dass 71 % der befragten Kinder und Jugendlichen sich durch die Corona-Krise belastet fühlen. Die Studie untersucht die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen während der COVID-19-Pandemie. Es wird ein signifikanter Anstieg psychischer Auffälligkeiten festgestellt, viele Kinder und Jugendlichen leiden vermehrt unter Ängsten und psychosomatischen Beschwerden. [3]
Auch die 131. Mitgliederversammlung der aej (Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend) stellt fest, dass die aktuelle Situation junger Menschen dringend mehr in den Fokus gerückt werden muss. Sie fordert u.a., dass diese in ihrer Gesamtheit wahrgenommen werden müssen, außerschulische Jugendangebote wieder möglich gemacht werden müssen und dass ein Leistungsdruck von der Gesellschaft nicht über das mentale Wohlbefinden junger Menschen gestellt werden darf.[4]

Im Kontext dieser aktuellen Veröffentlichungen steht auch das Projekt „Ich will trotzdem hoffen – Junge Perspektiven vor, während und nach Corona“ der Evangelischen Jugend An Nahe und Glan, das mit dem Erscheinen dieser Broschüre zu seinem Abschluss kommt.

Die Umsetzung der Interviews, deren Aufarbeitung und die Veröffentlichung dieser Broschüre wurden ermöglicht durch die Förderung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Anika Weinsheimer und Günter Kistner, Evangelische Jugend im Kirchenkreis An Nahe und Glan
Birgit Stubenbordt, Kinder- und Jugendarbeit der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Kreuznach
Julia Hahn, Projektdurchführung und Autorin

[1] Andresen, Sabine. Lips, Anna. Möller, Renate et al.  (2020): Erfahrungen und Perspektiven von jungen Menschen während der Corona-Maßnahmen. Erste Ergebnisse der bundesweiten Studie JuCo. Universitätsverlag Hildesheim.

[2] Andresen, Sabine. Heyer, Lea. Lips, Anna et al. (2020): „Die Corona-Pandemie hat mir wertvolle Zeit genommen“. Jugendalltag 2020. Universitätsverlag Hildesheim.

[3] Ravens-Sieberer, Ulrike. Kaman, Anne. Otto, Christiane et al. (2020): Impact of the COVID-19 Pandemic on Quality of Life and Mental Health in Children and Adolescents. Hamburg

[4] Beschlusspapier 1/2020 der 131. aej-Mitgliederversammlung: Ausgebremst und dennoch handlungsfähig – Soziale und psychische Belastungen junger Menschen aufgrund der Corona-Pandemie ernst nehmen!

Die Broschüre steht hier als Download zur Verfügung